Krankenhaus Insights: So digital ist die Pflege wirklich
Pflegekräfte wollen am Patienten arbeiten, nicht gegen mittelmäßige digitale Tools. Im Video-Interview zwischen Konrad Fenderich (Abteilungsleiter HealthTech, ex-Physio & IT im UKE) und Lars Drüke-Thiele (ehem. Pflegekraft, heute Digitalberater) bekommst du echte, ehrliche und kritische Einblicke in den digitalen Aspekt des Pflegealltags.
Über die Pflege wird viel gesagt: Digitalisierung soll entlasten, demografischen Druck abfedern und die Patientensicherheit erhöhen. Politik und Träger investieren in Programme, Projekte, neue Tools. Auf dem Papier klingt das logisch: weniger Zettel, weniger Doppelarbeit, mehr Zeit am Bett.
In der Praxis bleibt es oft zäh. Wie ehemaliger Krankenpfleger Lars berichtet, laufen in vielen Häusern mehrere Systeme nebeneinander, ohne verlässliche Schnittstellen. Das Ergebnis sind doppelte Eingaben, Unsicherheit (z. B. bei Allergien) und Dokumentation fern vom Point of Care – häufig erst spät oder gar nicht. Teams kompensieren das mit Workarounds und Telefonketten. Lars schätzt, dass 20–30 % der Arbeitszeit einer Pflegekraft für telefonische Rückfragen draufgehen, teils sogar bei Medikationsanordnungen. Das Problem ist weniger „zu wenig Software“, sondern fehlende Interoperabilität und analog gedachte Prozesse im Digitalgewand. Pflegekräfte werden bei der Entwicklung, Auswahl und Einführung von digitalen Tools häufig zu spät einbezogen. Reibungsverluste, Frust oder langsame Lernkurven sind programmiert.
Warum trotzdem digitalisieren? Weil genau hier das Potenzial liegt: Dokumentation am Bett, durchgängige Informationsflüsse, klare Verantwortlichkeiten. Sprachinput und LLMs können unterstützen. Aber nur, wenn Daten nicht im Silo enden. Was es dafür braucht, benennen Konrad und Lars klar: verbindliche Standards, Prozesse vom Patienten aus gedacht und Einführungen, die Pflegekräfte wirklich beteiligen. Erst dann wird aus gut gemeinten Digitalprojekten spürbare Entlastung im Pflegealltag.
Hinweis: Dieses ist #1 von insgesamt 4 Gesprächen zwischen Konrad Fenderich und Lars Drüke-Thiele.
Wir haben wahnsinnig viele Insellösungen, aber keine Brücken dazwischen. Es gibt kaum kontinuierliche Datenflüsse, und deswegen ist es sehr schwierig, nur einmal etwas einzugeben und es später in einem System wiederzufinden. Das ist für die Arbeitsbelastung eine Katastrophe und für die Patientensicherheit ebenso. Ich weiß oft nicht, in welchem System was steht. Sagen wir: Allergien. Sind die Allergien tatsächlich vollständig in dem System, auf das ich gerade schaue, oder kann ich mich darauf nicht verlassen? Da stehen wir in Deutschland.”
Lars Drüke-Thiele, Senior Innovation Sales Manager Tiplu GmbH
Die Pflege ist teilweise digitalisiert, aber kaum vernetzt
Solange Systeme nicht miteinander sprechen, bleibt Digitalisierung Zusatzarbeit: doppelte Eingaben, Telefonketten, Doku fern vom Point of Care. Das Problem sind weniger fehlende Tools als Interoperabilität und prozessorientierte Umsetzung.
Drei Fragen, die sich Entscheider jetzt ehrlich stellen sollten:
Binden wir unsere Pflegekräfte früh genug ein oder setzen wir ihnen fertige Lösungen vor?
Ermöglichen unsere Prozesse Dokumentation am Bett oder zwingen wir zur Nachdokumentation?
Verpflichten wir verbindliche Standards & Schnittstellen oder tolerieren wir Insellösungen?
Wenn die Antworten stimmen, wird Software zur Entlastung: weniger Doppelarbeit, weniger Telefonketten, Dokumentation im Patientenzimmer. So entstehen messbar mehr Minuten am Bett, sicherere Abläufe (z. B. bei Medikationsanordnungen) und spürbar zufriedenere Teams. Das ist die Grundlage dafür, dass Pflege bleibt, wofür sie angetreten ist: für den Menschen.


